Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach "Die Grenzen des Wachstums". Herausgegeben vom Club of Rome, für den viele internationale Wissenschaftler:innen Vorschläge erarbeitet haben. Übersetzt von Barbara Steckhan und Rita Seuß.
1972, also vor 50 Jahren erschütterte der erste Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ an den Club of Rome die Fortschrittsgläubigkeit der Welt, indem er zeigte, dass Bevölkerungs- und Industriewachstum die Menschheit an einen Abgrund treibt.
„Die Grenzen des Wachstums“ gilt bis heute als eine der einflussreichsten Publikationen zu Ökologie und Nachhaltigkeit und zur drohenden Überlastung unseres Planeten.
Sie war der Beginn, ökologisches Denken in den globalen Zusammenhang zu setzen, und zwar weit in die Zukunft hinein.
Mehr als 30 Mio. mal wurde der Titel verkauft und er machte den Club of Rome zu einer der bekanntesten Think Tanks der Welt.
Nun ist die Fortsetzung erschienen. Zum 50-jährigen Jubiläum blicken renommierte Wissenschaftler:innen wie Jørgen Randers, Sandrine Dixson-Declève und Johan Rockström abermals in die Zukunft – und legen ein Genesungsprogramm für unsere krisengeschüttelte Welt vor.
"Earth for All – Erde für Alle". Darin stellt ein Team international renommierter Wissenschaftler:innen konkrete und aus ihrer Sicht schnell umsetzbare Lösungsansätze für ein nachhaltiges globales Wirtschaftssystem vor, da das alte Wirtschaftssystem immer wieder zusammenbricht und sich die Welt an einem Abgrund befindet. Somit ist es Zeit, ein "neues Betriebssystem" zu installieren, dass für alle Menschen und den Planeten funktioniert. Das Buch ist ein Survival Guide, also ein Überlebensleitfaden, so der Anspruch der Autor:innen. Die deutsche Übersetzung ist im oekom Verlag, München erschienen.
copyright: oekom Verlag, München
Das Label „Club of Rome“ lässt nichts anderes erwarten: In diesem Buch geht es nicht ums Detail – es geht um das grosse Ganze, man könnte auch sagen – um Alles. Dies ist ein Buch über unsere Zukunft - die kollektive Zukunft der Menschheit in diesem Jahrhundert – um genau zu sein.
In diesem "Zukunfts-Buch" präsentiert der Club of Rome Forschungsergebnisse einer neuen Wissenschaftler:innen-Initiative. "Earth for All" heisst der Zusammenschluss, wie auch das vorliegende Buch. Es ist eine Gruppe hervorragender, global vernetzter Wisssenschaftler: innen, Ökonom:innen und Entscheidungsträger:innen mit einer gemeinsamen Fragestellung: Wie kommen wir zu einer ökologisch verträglichen, fairen Weltwirtschaft und das möglichst schnell?
Um den trägen "Tanker Erde" von seinem zerstörerischen Kurs abzubringen, verbinden sie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit innovativen Ideen für eine andere Wirtschaft.
Fünf wesentliche Handlungsfelder haben die Autor:innen identifiziert, auf die es aus ihrer Sicht entscheidend ankommt: Energie, Ernährung, Armut, Einkommensungleichheit und Geschlechtergerechtigkeit.
Der aktuelle Bericht an den Club of Rome liefert eine politische Gebrauchsanweisung für diese fünf Handlungsfelder, in denen mit vergleichbar kleinen Weichenstellungen grosse Veränderungen erreicht werden können.
Jedem dieser Kernthemen widmen sie ein "Kehrtwende Kapitel". Diese ausserodentlichen Kehrtwenden sind als politische Fahrpläne konzipiert, die absolut mehrheitsfähig wären. Sie sind kein Versuch, eine unmöglich realisierbare Utopie zu schaffen.
Die Liste der Vorschläge ist lang und weitgehend bekannt. Ein Schuldenschnitt für einkommensschwache Länder zählt dazu. Die Re-Regionalisierung des Handels, eine stärker progressive Besteuerung von Einkommen und Kapital, gesetzliche Regelungen gegen Lebensmittelverschwendung, ein Ende der Subventionen für die Agrarindustrie, die Verdreifachung der Investitionen in erneuerbare Energien – und auch Investitionen in ein Bildungssystem, das auf kritisches Denken und komplexes Systemdenken zielt, statt auf „Brechlernen".
Denn die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität oder Pandemien. Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden. In demokratischen Gesellschaften wurden Fehl- und Falschinformationen zumindest bis zu einem gewissen Grad durch die Massenmedien eingedämmt. Die sozialen Medien aber haben dieses Modell zertrümmert. Sie haben eine ganze Industrie von Falsch- und Desinformationen entstehen lassen, was der Polarisierung von Gesellschaften und einem Vertrauensverlust Vorschub leistet und dazu beiträgt, dass wir angesichts der kollektiven Herausforderungen unfähig sind, zusammen zu arbeiten oder uns auch nur über Grundtatsachen zu verständigen.
Allerdings bleiben die Visionen im Kapitel zur Gendergerechtigkeit und zur Bildung enttäuschend blass. Dagegen sind die Lösungsansätze im Bereich Ökonomie um so klarer umrissen.
Zu den besonders herausgehobenen Vorschlägen der Wissenschaftler:innen gehört die weltweite Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens in Form eines Bürgerfonds. Demnach müssen Unternehmen, die beispielweise CO2 Emissionen erzeugen, zur Entwaldung beitragen, öffentliche Daten nutzen oder zu Land und im Meer Ressourcen extrahieren, für die Verwertung dieses öffentlichen Gemeingutes eine Abgabe zahlen. Die Regierungen würden diese Einkünfte dann gerecht an alle Bürger:innen als Dividende auszahlen.
Neu sind die einzelnen Ideen nicht. Neu ist vielmehr der Ansatz, sie in einem dynamischen Modell miteinander zu kombinieren und so einen Blick in die Glaskugel zu werfen.
Die Initiative "Earth for All" arbeitet mit einem komplexen Simulationsprogramm: leistungsstarke, hochmoderne Computermodelle, um Zukunfts-Szenarien zu modellieren. Zwei der Szenarien werden im Buch vorgestellt und anhand der fiktiven Lebenswege von vier Frauen, Jahrgang 2020, aus China, Bangladesch, Nigeria und den USA illustriert. Aus solchen Szenarien leiten die Wissenschaftler:innen konkrete politische Forderungen ab.
Sicher ist demnach so viel: Ein weiter so „too little“ „too late“ wird zu dramatisch verschlechterten Lebensbedingungen, wie z.B. sinkender Wohlstand, auf diesem Planeten führen und zu sozialen Zerwürfnissen und Konflikten. Nötig sei daher ein „Giant leap“ – ein disruptiver Neustart.
Beim letzteren Szenario können durch die 5 systemverändernden "Giant-Schritte" die Armut und Ungleichheit aufgehoben, ausgegrenzten Menschen geholfen und unsere Ernährungs- und Energiesysteme bis 2050 umgestaltet werden. Ein klarer Weg, um unser globales Wirtschaftssystem neu zu starten, damit es für alle Menschen und den Planeten funktioniert.
Nichts liegt den Autor:innen ferner, als aus dem Elfenbeinturm heraus Verbotsdebatten anzuzetteln. Die Botschaft ihrer Analysen lautet: „Wir können es schaffen“. Das Fenster ist noch offen, um eine "Erde für Alle" zu erreichen und damit menschliches Wohlergehen innerhalb der planetaren Grenzen. Das macht Mut und hebt sich wohltuend aus dem Chor allarmistischer fundamentalistischer Stimmen ab.
Am Ende des Buches stehen 15 Empfehlungen an die Politik. Sie könnten nach Einschätzung der Autor:innen innerhalb einer Generation umgesetzt werden. Ob das geschehen wird, ist eine Frage des politischen Willens.
Zusammenfassend lässt sich sagen: "Earth For All" ist sowohl ein Gegenmittel gegen die Verzweiflung als auch ein Fahrplan für eine bessere Zukunft. Geschrieben in einem offenen, zugänglichen und inspirierenden Stil mit klarer Sprache und eindrucksvollen Bildern, ist "Earth For All" eine tiefgreifende Vision für unsichere Zeiten und eine Road-Map für eine bessere Zukunft." "Dieser Überlebensleitfaden für die Menschheit ist eine Pflichtlektüre für alle, die sich Gedanken über ein gutes Leben auf einem zerbrechlichen Planeten machen." "Wer wissen will, wie sich eine gute Zukunft realisieren lässt, kommt an "Earth for All" nicht vorbei." |
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Quellenangaben:
Deutschlandfunk (Janssen, Christina in "Andruck" vom 5. September 2022)
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